Grundidee
„Vätergeschichten“ besteht aus Fingerabdrücken von Vater-Kind-Beziehungen. (Corinne Bromundt, Illustratorin)
Im Auftrag von FamOS (Familien Ost-Schweiz) und männer.ch entwickelte Mark Riklin, Begründer der „Meldestelle für Glücksmomente“, anlässlich des 6. Vätertags 2012 das Projekt “Vätergeschichten“: Männer, Frauen und Kinder erzählten in öffentlichen Schreibstuben und ausgewählten Unternehmen von ihren Erinnerungen an ihre Väter, Grossväter oder an ihr Vatersein. Bis zum Vätertag 2013 ist ein Archiv aus 200 Szenen entstanden. “Vätergeschichten“ ist auf mehrere Jahre angelegt und verfolgt den Ansatz Väterlichkeit sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Betrieben an kleinen Geschichten zu veranschaulichen. Dadurch soll ein Gegenpol zur problemorientierten Darstellung von Väterlichkeit entstehen. Biografische Erinnerungen korrigieren stereotype Bilder, zeigen die Vielfalt von Väterlichkeit und regen an, sich Zeit fürs Vatersein zu nehmen.
Aus dem Geschichtenarchiv
Kein Ast zu hoch
Ich stehe auf einer Leiter, angelehnt an einen älteren Kirschbaum. Mein Vater pflückt Kirschen. Der Hauptteil ist geerntet, nur noch vereinzelte Früchte hängen an exponierten Ästen. Ich versuche meinen Vater davon zu überzeugen, dass es sich nicht mehr lohnt, den letzten Früchten nachzusteigen. Sein Kommentar: „Auch wenn es sich nicht lohnt – sie sind es wert, geerntet zu werden. Oder könntest Du solche Früchte wachsen lassen?
- Sohn: 1963, Agronom & Coach
- Vater: 1928, Landwirt
- Jahr der Szene: 1979
Seelsorger mit Leib und Seele
Aix-en-Provence im Sommer 2015. Während meines Sprachaufenthalts wohne ich bei einer Gastfamilie. Mein vietnamesischer Gastvater Kyan macht meist ein ernsthaftes Gesicht, lacht kaum und wirkt etwas unnahbar, bis mein Vater ein paar Tage zu Besuch kommt. Eine Mitschülerin macht mich eines Tages darauf aufmerksam, sie hätte heute meine beiden Väter gesehen, gemeinsam auf einem Moped («petite moto»). Etwas verwundert nehme ich die überraschende Nachricht entgegen. Und tatsächlich, wenig später sehe ich die beiden durch die Stadt düsen: am Steuer ein kleiner Asiate, hinten drauf ein «Voradelberger», unbekümmert, wohlgelaunt, vollbepackt mit Früchten und Gemüse vom Markt – eine Mischung aus Brüderlichkeit und Abenteuerlust. Eine Szene wie im Film. Typisch für meinen Vater, der auf seine verschmitzte, spontane, direkte Art das Tuch wegzieht und dahinter schaut und so das Verborgene sichtbar macht, das Authentische aus den Menschen herauskitzelt. Mit Leib und Seele ist er Seelsorger, aus Berufung, immer und überall, unabhängig von Konfessionen. Als Kind war mir dieses «Überfallen» und «Überfordern» fremder Menschen peinlich. Heute bin ich stolz darauf, dass mein Vater auf eine positive Art provozieren kann. Etwas vom Schönsten, was in ihm steckt.
- Vater: 1962, Seelsorger
- Sohn: 1991, Lehrer
- Jahr der Szene: 2015
Vergessene Erinnerung
Als 27-jähriger Student lebe ich bei meinen Eltern, als mein fast 80-jähriger Vater krank wird und ins Spital muss. Innerhalb einer Woche stirbt er. Über die vielen Jahre schmerzt es mich, dass ich am Sterben meines Vaters nicht mehr Anteil genommen habe. Vater hatte nie viel Zeit für uns acht Kinder gehabt. Bin ich deshalb derart entfernt von ihm geblieben? Jetzt, über 40 Jahre nach Vaters Tod suche ich nach Wissen aus seiner Sterbenszeit. Dabei entdecke ich einen Zettel, auf dem ich meinem Vater Worte des Danks für seine Zuwendung und der Trauer wegen seiner Krankheit ins Spital geschickt habe. Ich lese nach langem wieder das Tagebuch, in das Vater für jedes der Kinder Episoden aus seinem Leben aufgeschrieben hat. Da war gegenseitige Anteilnahme und Nähe, verdeckt durch falsche Erinnerung.
- Sohn: 1944, Professor der Theologie
- Vater: 1894, Prediger
- Jahr der Szene: 1972
Aktuelles
Marcel Kräutli ist neuer Leiter des Archivs für Vätergeschichten
Ein Sonntag im Juni 2013. Dicht gedrängt sitzen die Besucher:innen am nationalen Vätertag auf den Fluren der Geburtenabteilung des Spitals Herisau, nachdem sie ihre nassen Regenmäntel an Infusionsständern aufgehängt haben. Ein Schauspieler-Duo liest erstmals ausgewählte Szenen aus dem neu gegründeten Archiv für Vätergeschichten. Als Schauplatz dient eine Wochenbettstation, wo neben Kindern und Müttern auch Väter auf die Welt kommen. Unvergesslich, wie Kindergeschrei aus den Kindern die Lesung akustisch untermalen. 12 Jahre später besteht das Archiv für Vätergeschichten aus über 300 Szenen, die auf eindrückliche Art illustrieren, wie sich das Bild des Vaters im Laufe der Zeit verändert hat. Anfangs Jahr ist die Leitung des Archivs für Vätergeschichten von Mark Riklin auf Marcel Kräutli, Väterberater beim Ostschweizer Verein für das Kind, übergegangen – eine ideale Besetzung, herzlich willkommen!
Vätergeschichten aus aller Welt
Donnerstagabend in einem St.Galler Hinterhof. «My father is my foundation. His values, his culture and his way of life have shaped me», beginnt die Erinnerung an einen indischen Vater, die anlässlich der musikalischen Lesung «Vätergeschichten aus aller Welt» verlesen wird. Auf Wunsch des Erzählers wird die Hommage an seinen Vater gefilmt und nach Delhi gesandt. Als Dank und Würdigung seiner Unterstützung und Verlässlichkeit.
Vätergeschichten mittwochs im Tages-Anzeiger
„Lange waren Väter eine Art Nebenfiguren im Familienalltag.“, schreibt der Tages-Anzeiger. Inzwischen habe sich das Selbstverständnis vieler Väter verändert. Sie wollten nicht mehr „die Dritten“ sein, neben Mutter und Kind, sondern bei der Erziehung eine ebenso wichtige Rolle spielen. Immer mittwochs bringt der Tages-Anzeiger eine Auswahl der berührendsten Geschichten.
Teilen Sie Ihre Geschichte
„*“ zeigt erforderliche Felder an