Grundidee
„Vätergeschichten“ besteht aus Fingerabdrücken von Vater-Kind-Beziehungen. (Corinne Bromundt, Illustratorin)
Im Auftrag von FamOS (Familien Ost-Schweiz) und männer.ch entwickelte Mark Riklin, Begründer der „Meldestelle für Glücksmomente“, anlässlich des 6. Vätertags 2012 das Projekt “Vätergeschichten“: Männer, Frauen und Kinder erzählten in öffentlichen Schreibstuben und ausgewählten Unternehmen von ihren Erinnerungen an ihre Väter, Grossväter oder an ihr Vatersein. Bis zum Vätertag 2013 ist ein Archiv aus 200 Szenen entstanden. “Vätergeschichten“ ist auf mehrere Jahre angelegt und verfolgt den Ansatz Väterlichkeit sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Betrieben an kleinen Geschichten zu veranschaulichen. Dadurch soll ein Gegenpol zur problemorientierten Darstellung von Väterlichkeit entstehen. Biografische Erinnerungen korrigieren stereotype Bilder, zeigen die Vielfalt von Väterlichkeit und regen an, sich Zeit fürs Vatersein zu nehmen.
Aus dem Geschichtenarchiv
Glück im Sägemehl
Mit 75 ist er noch immer oft am Sägen, Hobeln, Zusammenfügen. Nur der Sonntag war ihm absolut heilig, da nahm er kein Werkzeug zur Hand. Neben der Hauptarbeit hatte mein Vater sich in der Garage eine Schreinerwerkstatt eingerichtet. Seit ich denken kann, tummelte ich mich als Knirps bei ihm. Ein Paradies für mich und meine drei Brüder. Auch wenn es immer wieder mal zu Blessuren kam. Nicht nur einmal musste ich beim Arzt eine Stich-, Platz- oder Schnittwunde nähen, die ich mir im Übereifer beigefügt hatte. Es war wunderschön.
- Sohn: 1979
- Vater: 1939, Schreiner
- Jahre der Szene: 1982/90
Und plötzlich ein Pfefferminzbonbon
Mein Vater war ein „Chlütteri“. Sein selber hergestelltes Weihnachtsglöckli aus Aluminium setze ich heute noch ein. Er baute mir auch ein eigenes Trottinette, stellte für mich eine Bauklötzesammlung her oder schenkte mir einen Fingerring mit einem 50er darauf. Ich erinnere mich auch noch genau an die wohlig warm ausgekleidete Harasse, die er auf meinen Schlitten montierte. Sonst aber war er ein sehr strenger Vater – manchmal fast ein sturer Bock. Ich musste den Teller immer fein säuberlich ausessen. Und das Mittagessen musste immer genau um 12.00 Uhr auf dem Tisch stehen. Ich weiss noch genau, wie ich immer am Fenster wartete, bis er um fünf vor 12 mit dem Velo von der Arbeit bei uns vorfuhr. Eigentlich passt es nicht ganz in dieses Bild, dass ich ihm während seines Mittagsschlafes Zöpfchen in seine Haare machen durfte. Bei Ausflügen hatte er immer Pfefferminzbonbos oder Caramel als Überraschung in der Tasche. Bis ich etwa zehn Jahre alt war, gab mir die Art und Weise meines Vaters viel Geborgenheit. Später bekam seine Sturheit für mich einen negativen Charakter, und es begann ein harter Weg der Auseinandersetzung, des Widerstands und der Versöhnung.
- Adoptivvater: 1905, Schlosser
- Tochter: 1952, Sozialarbeiterin
- Jahr der Szene: 1960
Spuren im Schnee
Dezember, bitter kalt, Pulverschnee sehr gut. Draussen in der Natur, bei Sonne und Schnee, spüre ich den Grip des Boards und die eiskalten Winde. Meine Bahnen ziehe ich genau wie mein Vater, als er – schwer krank und zwanzig Tage vor seinem Tod – diese wunderbare Natur das letzte Mal genoss.
- Sohn: 1963, Finanzchef
- Vater: Jahrgang, Beruf
- Jahr der Szene: wiederkehrend in Erinnerung an Vaters Tod im Dezember 1996
Aktuelles
Jahresendzeit… Vätergeschichten-Zeit
Liebe Leser*innen
Jahresendzeit, Weihnachtszeit, Zeit mit der Familie, Zeit mit Menschen die einem nah & lieb sind. Zeit für Vätergeschichten, Zeit fürs «drüber Reden», wie Väterlichkeit erlebt, gelebt wird und wurde…
Seit 2012 existiert das Projekt Vätergeschichten – entwickelt im Auftrag von FamOS und männer.ch.
In öffentlichen Schreibstuben, in Unternehmen, Schulen, Altersheimen und an vielen anderen Orten wurden seitdem Erinnerungen an Väter, Grossväter oder das eigene Vater-Sein gesammelt.
So ist bis heute ein Archiv mit mehr als 300 Szenen entstanden.
Mit dem Vätergeschichten-Abo erhalten Sie einmal monatlich per E-Mail eine neue Erzählung – aus dem Geschichtenarchiv, das Vielfalt von Väterlichkeit sichtbar macht. Zudem finden regelmässig öffentliche Lesungen statt, bei denen ausgewählte Geschichten live gelesen und geteilt werden.
Melden Sie sich einfach mit Ihrer E-Mail an – und lassen Sie sich inspirieren von berührenden und lebensnahen Perspektiven auf Vater-Kind-Beziehungen. Jede Geschichte ein Fenster zu erlebten Väterlichkeit(en) und ein Angebot zur Reflexion der eigenen Beziehung zum Vater, zum Vater-Sein…
Beste Grüsse & alles Liebe
Marcel Kräutli
Nächste Lesung Vätergeschichten: Freitag 12. September 2025 im Integrationszentrum Wier in Ebnat Kappel
Vor einiger Zeit durfte ich im tisg-Integrationszentum Wier in Ebnat-Kappel bei unbegleiteten, minderjährigen Asylsuchenden berührende Vätergeschichten sammeln.
Diese Geschichten darf ich am 12. September 2025 von 19 bis 20 Uhr, anlässlich einer öffentlichen Lesung mit musikalischer Begleitung, im tisg Integrationszentrum Wier in Ebnat Kappel vortragen.
Sie sind alle zur Lesung und zum anschliessenden Apéro herzlich eingeladen!
Beste Grüsse & alles Liebe
Marcel Kräutli
Vätergeschichten-Lesung im Integrationszentrum Wier
Das Vätergeschichten-Feuer weitertragen
Liebe Leser:innen
Zwei Jahre sind es her, seit ich das erste Mal mit dem Archiv für Vätergeschichten in Kontakt kam. Ich durfte eine Vätergeschichtensammlung & -lesung rund um das Fest der Kulturen in St. Gallen organisieren.
Das Thema liess mich seither nicht mehr los. Zum einen beruflich, als Väterberater beim Ostschweizer Verein für das Kind, und zum anderen als Vater und Bezugsperson von drei Kindern, welche ich beim Aufwachsen begleite.
Geschichte und Geschichten begleiten mich, seit ich denken kann. Geschichte war mein Lieblingsfach in der Schule. Ich liebe es noch heute zu lesen und dadurch in andere Welten ein- und abzutauchen.
Ich bin überzeugt, dass das Erzählen von Geschichten – sogar schon vor der Geburt – eine wertvolle Grundlage für die Vater-Kind-Bindung schafft. Es eröffnet auch immer wieder besondere Momente der Zweisamkeit und bereichert damit sowohl das Vater- als auch das Kindsein. Im Wissen, dass das Erzählen von Geschichten bisweilen ziemlich fordern kann. Bei mir zum Beispiel dann, wenn das eine Kind immer genau die eine – wirklich partout keine andere – Geschichte erzählt haben will und auch keine – noch so kleine – Abänderung toleriert. Oder das andere Kind keine vorgelesenen Geschichten akzeptiert und in ihren Worten, «Gschichte usem Muul» (als Begriff für «frei erfundene Geschichten») hören möchte.
Überzeugt davon, dass es nicht die eine Väterlichkeit, sondern eben viele Formen von Väterlichkeit(en) gibt, bin ich beruflich sehr neugierig darauf zu hören, wie Väterlichkeit erinnert wird. Der Frage nachzugehen, ob es generationelle und kulturelle Unterschiede gibt, oder vielmehr herauszufinden, wo die Gemeinsamkeiten liegen, reizt mich.
Darum freue ich mich sehr, das Vätergeschichten-Feuer von Mark Riklin übernehmen zu dürfen.
Ich bin geehrt und dankbar, dieses Feuer weitertragen zu dürfen. Die Glut zu hüten, von Zeit zu Zeit zu schüren und mit neuen, inspirierenden Geschichten lebendig zu halten.
Ich freue mich auf diesen Weg, viele spannende Begegnungen und noch mehr bereichernde Geschichten!
Herzliche Grüße
Marcel Kräutli
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