„Vätergeschichten“ besteht aus Fingerabdrücken von Vater-Kind-Beziehungen.

Grundidee

„Vätergeschichten“ besteht aus Fingerabdrücken von Vater-Kind-Beziehungen. (Corinne Bromundt, Illustratorin)

Im Auftrag von FamOS (Familien Ost-Schweiz) und männer.ch entwickelte Mark Riklin, Begründer der „Meldestelle für Glücksmomente“, anlässlich des 6. Vätertags 2012 das Projekt “Vätergeschichten“: Männer, Frauen und Kinder erzählten in öffentlichen Schreibstuben und ausgewählten Unternehmen von ihren Erinnerungen an ihre Väter, Grossväter oder an ihr Vatersein. Bis zum Vätertag 2013 ist ein Archiv aus 200 Szenen entstanden. “Vätergeschichten“ ist auf mehrere Jahre angelegt und verfolgt den Ansatz Väterlichkeit sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Betrieben an kleinen Geschichten zu veranschaulichen. Dadurch soll ein Gegenpol zur problemorientierten Darstellung von Väterlichkeit entstehen. Biografische Erinnerungen korrigieren stereotype Bilder, zeigen die Vielfalt von Väterlichkeit und regen an, sich Zeit fürs Vatersein zu nehmen.

Aus dem Geschichtenarchiv

Tränen lachen und auch weinen

Mein Vater konnte Tränen lachen. Im Alltag kam es nicht so oft vor, aber wenn Besuch da war und Geschichten aus dem Alltag – mit einem guten Sinn für Situationskomik – erzählt wurden, lachte er Tränen. So erlebte ich ihn gern. Er konnte auch Tränen weinen. Einmal, nach dem Nachtessen – er sass noch am Esstisch – lief im Radio eine Sendung über den Zweiten Weltkrieg. Die Tränen liefen ihm übers Gesicht, ohne dass er etwas sagte oder erzählte.

  • Tochter: 1959, Sozialarbeiterin
  • Vater: 1922, Ingenieur
  • Jahr der Szene: 1973

Schiffbauer im Sand

Sommerferien an der Nordsee. Bis 300 Meter laufen wir hinaus, wenn Ebbe ist. Mit der Schaufel zeichnet mein Vater die Umrisse eines Schiffs in den Sand. Gemeinsam helfen ich und meine drei Geschwister mit, ein Schiff aus Sand entstehen zu lassen. Wenn die Flut kommt, stehen wir zu fünft am Bug und trotzen dem Wasser.  – Diesen Nervenkitzel habe ich übernommen, als ich selber Kinder hatte. Meine Frau hatte nur ansatzweise mitgemacht, sich ebenso zurückgehalten wie damals meine Mutter. Es war immer klar: Das ist Vatersache.

  • Sohn: 1967, Lehrer
  • Vater: 1933, Buchhalter
  • Jahre der Szene: 1975-1985 / 2000-2010
  • Aufgezeichnet von Mark Riklin

Aorta-Riss

Der Anruf erreichte mich auf dem Weg zur Badi. Vater liege auf der Notfallstation. Als wir bei ihm ankamen, war die Operation bereits im Gang. Der Assistenzarzt machte uns wenig Hoffnung. Vater hatte einen Aortariss nahe beim Herz. Falls er überhaupt überleben würde, wären Folgeschäden wahrscheinlich. Die Operation dauerte neun Stunden. Ich war erstmals mit der Vorstellung konfrontiert, meinen Vater zu verlieren – mitten aus der noch ungeklärten und unfertigen Beziehung, in der wir damals standen. Vater erholte sich fast vollständig. Wenn wir uns heute sehen, umarmen wir uns.

  • Sohn: Ein 36-jähriger Schweizer
  • Jahr der Szene: 2007

Nächste Lesung Vätergeschichten: Freitag 12. September 2025 im Integrationszentrum Wier in Ebnat Kappel

Vor einiger Zeit durfte ich im tisg-Integrationszentum Wier in Ebnat-Kappel bei unbegleiteten, minderjährigen Asylsuchenden berührende Vätergeschichten sammeln.

Diese Geschichten darf ich am 12. September 2025 von 19 bis 20 Uhr, anlässlich einer öffentlichen Lesung mit musikalischer Begleitung, im tisg Integrationszentrum Wier in Ebnat Kappel vortragen.

Sie sind alle zur Lesung und zum anschliessenden Apéro herzlich eingeladen!

Beste Grüsse & alles Liebe

Marcel Kräutli

Vätergeschichten-Lesung im Integrationszentrum Wier

 

Das Vätergeschichten-Feuer weitertragen

Liebe Leser:innen

Zwei Jahre sind es her, seit ich das erste Mal mit dem Archiv für Vätergeschichten in Kontakt kam. Ich durfte eine Vätergeschichtensammlung & -lesung rund um das Fest der Kulturen in St. Gallen organisieren.

Das Thema liess mich seither nicht mehr los. Zum einen beruflich, als Väterberater beim Ostschweizer Verein für das Kind, und zum anderen als Vater und Bezugsperson von drei Kindern, welche ich beim Aufwachsen begleite.

Geschichte und Geschichten begleiten mich, seit ich denken kann. Geschichte war mein Lieblingsfach in der Schule. Ich liebe es noch heute zu lesen und dadurch in andere Welten ein- und abzutauchen.

Ich bin überzeugt, dass das Erzählen von Geschichten – sogar schon vor der Geburt – eine wertvolle Grundlage für die Vater-Kind-Bindung schafft. Es eröffnet auch immer wieder besondere Momente der Zweisamkeit und bereichert damit sowohl das Vater- als auch das Kindsein. Im Wissen, dass das Erzählen von Geschichten bisweilen ziemlich fordern kann. Bei mir zum Beispiel dann, wenn das eine Kind immer genau die eine – wirklich partout keine andere – Geschichte erzählt haben will und auch keine – noch so kleine – Abänderung toleriert. Oder das andere Kind keine vorgelesenen Geschichten akzeptiert und in ihren Worten, «Gschichte usem Muul» (als Begriff für «frei erfundene Geschichten») hören möchte.

Überzeugt davon, dass es nicht die eine Väterlichkeit, sondern eben viele Formen von Väterlichkeit(en) gibt, bin ich beruflich sehr neugierig darauf zu hören, wie Väterlichkeit erinnert wird. Der Frage nachzugehen, ob es generationelle und kulturelle Unterschiede gibt, oder vielmehr herauszufinden, wo die Gemeinsamkeiten liegen, reizt mich.

Darum freue ich mich sehr, das Vätergeschichten-Feuer von Mark Riklin übernehmen zu dürfen.

Ich bin geehrt und dankbar, dieses Feuer weitertragen zu dürfen. Die Glut zu hüten, von Zeit zu Zeit zu schüren und mit neuen, inspirierenden Geschichten lebendig zu halten.

Ich freue mich auf diesen Weg, viele spannende Begegnungen und noch mehr bereichernde Geschichten!

Herzliche Grüße
Marcel Kräutli

Marcel Kräutli ist neuer Leiter des Archivs für Vätergeschichten

Ein Sonntag im Juni 2013. Dicht gedrängt sitzen die Besucher:innen am nationalen Vätertag auf den Fluren der Geburtenabteilung des Spitals Herisau, nachdem sie ihre nassen Regenmäntel an Infusionsständern aufgehängt haben. Ein Schauspieler-Duo liest erstmals ausgewählte Szenen aus dem neu gegründeten Archiv für Vätergeschichten. Als Schauplatz dient eine Wochenbettstation, wo neben Kindern und Müttern auch Väter auf die Welt kommen. Unvergesslich, wie Kindergeschrei aus den Kindern die Lesung akustisch untermalen. 12 Jahre später besteht das Archiv für Vätergeschichten aus über 300 Szenen, die auf eindrückliche Art illustrieren, wie sich das Bild des Vaters im Laufe der Zeit verändert hat. Anfangs Jahr ist die Leitung des Archivs für Vätergeschichten von Mark Riklin auf Marcel Kräutli, Väterberater beim Ostschweizer Verein für das Kind, übergegangen – eine ideale Besetzung,  herzlich willkommen!

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