Geschichtenarchiv

Blindes Verständnis

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Mein Vater und ich sind uns mega ähnlich. Beide sind wir Büezer, die lieber handeln statt lange um den Brei herumreden. Auch ich bin Stromer geworden, früh geprägt durch die Erlebnisse in seinem Stromergeschäft. Als Kind durften wir den Monteuren bei der Arbeit zusehen und mit dem Materialwagen durch die Bude rasen. Später, als ich in der Lehre war, durfte ich mithelfen, den Laufstall meines Göttis zu verkabeln. Gemeinsam standen wir auf der Hebebühne, haben Kabelkanäle installiert, Kabel verlegt und Lampen aufgehängt. Jeder Handgriff war klar. Ohne gross zu reden, haben wir uns blind verstanden.

  • Sohn: 1991, Elektroinstallateur
  • Vater: 1955, Elektromonteur-Installateur
  • Jahr der Szene: 2007/2008

Zweit-Meinung aus dem oberen Stock

Wenn ich in meinem Zimmer sitze, taucht hin und wieder eine Frage auf, die nach neuen Perspektiven ruft: eine E-Mail, die gegengelesen, oder eine Entscheidung, die getroffen werden soll. Ein paar Treppenstufen höher kann ich jederzeit Unterstützung holen. «Was sind deine Gedanken dazu», frage ich dann meinen Vater, wenn ich in seinem Büro direkt oberhalb meines Zimmers stehe. Mein Vater hat einen klaren Blick, erkennt schnell das Wesentliche einer Sache oder Situation. Es gibt mir ein gutes Gefühl, auch in Zukunft auf ihn und seine Unterstützung zählen zu dürfen. Dafür gilt ihm ein grosser Dank!

  • Sohn: 2006, Kantischüler
  • Vater: 1970, Sozialpädagoge
  • Jahr der Szene: 2023

Jeder Sturm geht vorüber

Auf der Heimfahrt von Jaén (Spanien) zurück in die Schweiz sahen wir einen Sturm auf uns zukommen. An einer Tankstelle machte mein Vater Halt, füllte den Tank mit Benzin, ging an die Kasse, um zu bezahlen. Als er die Tankstelle wieder verlassen wollte, liessen sich die Türen einfach nicht mehr öffnen. Während mein Bruder friedlich schlief, sah ich zu meiner Katze und hoffte inständig, dass mein Vater bald wieder zu uns ins Auto steigen würde. Als er endlich zurückkam, hatte er trotz des Schreckmoments ein Lächeln im Gesicht. Wir warteten noch einen Moment gemeinsam im Auto, bis der Sturm verblasste.

  • Tochter: 2004
  • Vater: 1964
  • Jahr der Szene: 2015

Ein unschlagbares Team

Freitagabend, kurz vor 18:00 Uhr. Meine Eltern und ich sitzen im Garten. Es ist Frühling, die Sonne scheint und die Blumen duften. Ein Gefühl von Freiheit steigt in mir auf. Mein Vater sitzt neben mir und blättert durch den neuen Aldi-Prospekt. Da sehe ich sie: die Jacke, die ich schon die ganze Zeit haben wollte, jedoch nie gefunden hatte. «Na gut, dann fahren wir eben schnell in den Aldi», sagte mein Vater. Meine Mutter nickte und zählte auf, welche anderen Dinge wir noch kaufen sollten. Im Laden fanden wir ein Dutzend Dinge, die uns sonst noch gefielen, gingen zur Kasse und verliessen den Laden 5 Minuten vor Ladenschluss. Zuhause angekommen waren wir überglücklich, hatten wir doch viel Tolles erworben. Zum Bedauern meiner Mutter leider nicht die Dinge, die sie brauchte, diese hatten wir vergessen. Meine Mutter verdrehte die Augen, während mein Vater und ich uns anlächelten.

  • Tochter: 2005, Schülerin
  • Vater: 1971, Hauswart & Allrounder
  • Jahr der Szene: 2023

Die Ruhe im Sturm

Solange ich mich zurückerinnern kann, sah ich meinen Vater auf den Balkon verschwinden, sobald ein Gewitter eintraf. Er fand die Klänge des Regens, den tobenden Wind und den Donner beruhigend. Mir hingegen machten der laute Donner und die Blitze grosse Angst, als ich etwa fünf Jahre alt war. Mein Vater setzte sich dann zu mir und erklärte, dass man durch Zählen herausfinden könne, wie weit weg ein Gewitter und wie gefährlich es wirklich ist. Man müsse nur zählen, wie lange es dauert, bis man nach einem Blitz den Donner hört. So machte er ein Spiel daraus und nahm mir die Angst vor Gewittern.  Seither schleiche auch ich bei Gewittern nach draussen, um zu zählen und den Klängen zu lauschen.

  • Vater: 1964, Händler
  • Tochter: 2004, Schülerin
  • Jahr der Geschichte: 2009

«Das ist mein Schatz!»

Eigentlich bin ich ohne Vater aufgewachsen. Als ich zur Welt kam, kam er mich nicht einmal anschauen. Bis ich 10 Jahre alt war, hatte ich ihn kaum gekannt. Mit 15 bin ich in der Stadt mal in ihn hineingelaufen, wir haben ein paar wenige Worte gewechselt und sind dann wieder zugelaufen. Als ich meinen ersten Freund hatte, habe ich seine Stammkneipe aufgesucht, mich frech an seinen Tisch gesetzt und ihm stolz meinen Freund vorgestellt: «Das ist mein Schatz!». Mein Vater hat sich gefreut und gesagt: «Ein toller Kerl.» Doch noch eine positive Erinnerung.

  • Tochter: 1946
  • Vater: 1910
  • Jahr der Szene: 1965