Geschichtenarchiv

Weshalb ich keinen Smoking bekam

Mein Vater war Schneidermeister. Eines Tages fragte ich ihn (72), ob er mir (43) einen Smoking nähen würde. Er hatte tausend Ausreden, obwohl er für Vereine im Dorf auch nähte. Ich schleppte meine Enttäuschung mit mir herum, bis mir zwei Jahre später an einem Seminar plötzlich alles klar wurde. Sein Vater, auch Schneider, hatte ihm versprochen, dass er ihm eine Lederhose nähen würde, wenn er aus dem Krieg zurückkomme. Er kam nie zurück.

  • Sohn: 1965, Krankenpfleger und beratender Seelsorger
  • Vater: 1936, Schneidermeister
  • Jahr der Szene: 2008
  • Aufgezeichnet von Cornel Rimle

Im Duett

Die grosse Verbindung zwischen mir und meinem Vater war die Musik. Mein Vater spielte sehr gut Geige, und ich durfte Klavier spielen lernen. Nach ein paar Jahren Klavierunterricht begannen wir, gemeinsam zu musizieren, was uns eine ganz besondere Nähe ermöglichte. Meine Mutter, die das ganze Leben an Depressionen litt, missgönnte uns diese konzertanten Stunden. Doch mir und meinem Vater haben sie viel Freude bereitet. Und das Tor zur Welt der Musik geöffnet. Dafür bin ich meinem Vater noch heute dankbar.

  • Tochter: 1949, Kindergärtnerin
  • Vater: 1920, Bahnbeamter
  • Jahre der Szene: ab ca. 1962

Gschichtlichopf

„Hets no es Gschichtli im Gschichtlichopf?“ So lautete der Code, kombiniert mit einem sanften Klopfen auf die Stirne des Vaters. Die beiden Buben liebten dieses tägliche Ritual, der Vater natürlich auch. „Mhhmm, weiss nid, muess mau ga luege…“ lautete die Antwort, die der Vater immer geben musste. Und oh Wunder, es hatte tatsächlich heute gerade noch eine Geschichte, die unbedingt erzählt werden wollte. Dann kamen abwechslungsweise je zwei Stichworte, die in der Geschichte vorkommen mussten: Feuerwehrauto – Batman – Kaleidoskop – Kaugummi. Oder: Gletscher – Mondrakete – Schneemann – Wolf. Oder…. Jeder der Buben achtete peinlich genau darauf, dass sein Wort in der Geschichte vorkam. Und für Action war immer gesorgt. Dumm nur, wenn sie am Abend darauf die genau gleiche Geschichte noch einmal hören wollten, einfach darum, weil sie so spannend war. Da musste sich der Vater in der Regel helfen lassen oder wurde bei jedem zweiten Satz korrigiert: „Nei, das isch ganz angers gange, nämlech d‘ Prinzässin het dr Polizei aaglüüte u nid umgekehrt!“

Vater: 60, Schauspieler & Regisseur

Söhne: 23 und 25, Grafiker und Innenarchitekt

Jahre der Szene: 1999 bis ca. 2005

Nicht wie bei allen anderen

Als unser erstgeborener Sohn in den Kindergarten kam, wurde er von seinen neuen Freunden regelmässig zum Mittagessen eingeladen. Er selbst wollte jedoch nie jemanden zu sich nach Hause einladen. Irgendwann begriffen wir, dass er sich «schämte», dass bei uns mittags der Vater kochte und nicht die Mutter wie bei allen anderen. Es ging so weit, dass meine Frau zwischendurch extra nach Hause kam, damit er seine Freunde unbeschwert einladen konnte. Heute ist unser Erstgeborener Feminist und in jeglichen Formen der Diskriminierung sehr reflektiert.

  • Vater: 1973, Soziokultureller Animator
  • Sohn: 2001, Student «Design Management»
  • Jahr der Szene: 2005

Ermutigung

Als ich im Alter von 47 Jahren den sicheren Lehrerberuf aufgeben will, um eine eigene Firma zu gründen, sagt mein Vater: Wenn’d merksch, dass du da wörkli mache wötsch, denn mach‘, sösch wersch im Alter en Söderi. Du tarsch au scheitere. Aber denn hesch es wenigschtens probiert und tenksch spöter nöd „Hett i doch“.

  • Sohn: 1943, Lehrer, Verleger
  • Vater: 1914-1994, Käser, Magaziner, Schweinezucht-Berater
  • Jahr der Szene: 1990

Stiller Dank

Beim Abstieg vom Altmann-Sattel zum Löchlibetterweg ist mein Vater auf dem Schneefeld ausgerutscht, konnte nicht stoppen, weil er auf dem Hintern rutschte und Beine und Arme ängstlich hochhielt, sodass das Tempo umso schneller war; so wäre er mit hohem Tempo in den Geröllbrocken gelandet. Für einen 73-Jährigen wäre das lebensgefährlich gewesen. Ich nahm einen Schnelllauf, rutschte mit hohem Tempo an ihm vorbei und stoppte ihn von unten. Dabei verletzte ich mich, kurz vor Felsbrocken und Geröll, an einem Stein unter dem Knie und lag 14 Tage im Kantonsspital. Als stiller Dank brachte mir mein Vater die Weltwoche (als sie noch gut war) ans Spitalbett.

  • Sohn: 1935, passionierter Berggänger
  • Vater: 1882, pensionierter Bankdirektor
  • Jahr der Szene: 1955