Geschichtenarchiv

Vaters Schminkkoffer

Bis vor kurzem stand der Koffer aus hellem Holz im Keller. Jetzt steht er vor mir auf dem Tisch, übersät mit bunten Schrammen, tiefen Furchen und manch einer Erinnerung. Das war der Schminkkoffer meines Vaters, der die Schauspieler*innen sämtlicher Dorftheater in der Umgebung von Egerkingen schminkte. Oft durfte ich ihn begleiten und beobachten, wie er auch Dinge auf die Bühne schmuggelte, die dort eigentlich nichts zu suchen hatten. Bei einer Dernière beispielsweise schmuggelte mein Vater eine tote Maus in die Handtasche einer Schauspielerin…

  • Sohn: 1957, Theatermann
  • Vater: 1920-1973, Coiffeur
  • Jahr der Szene: 1965

Vermisst-Meldung

Am meisten vermisse ich sein Lachen. Zum letzten Mal habe ich sein Lachen vor eineinhalb Jahren gehört. Kurz bevor er ein halbes Jahr lang im Spital lag und ein paar Monate später verstarb. Nie werde ich vergessen, wie er in der Stube auf seinem Kanapee sitzt, beim Lachen den Kopf an der Wand anschlägt, dann noch mehr lachen muss, bis die Tränen kommen und seine „Birne“ immer roter wird.

  • Enkel: 2006, Schüler
  • Grossvater: 1943-2019
  • Jahre der Szene: 2009-2019

Von Pannen und Pleiten

Immer wieder stellen mir meine Kinder die gleiche Frage: „Was ist dir in deinem Leben Blödes passiert?“ Was mich eines Tages dazu veranlasste, eine Liste zu beginnen: Als ich in einer fensterlosen, spanischen Toilette festsass; ungewollt zum Uhren-Dieb wurde; einen Vortrag mit einem Lachkrampf begann; ins falsche Hotelzimmer geriet und im Bett eines Chinesen landete; mit Handschellen abgeführt wurde; zu einem Bewerbungsgespräch rannte und trotzdem gnadenlos zu spät kam; den Vorwärts- mit dem Rückwärts-Gang verwechselte und meine Oma auf dem Rücksitz den Abhang hinunter fuhr, bis ein Gartenzaun die Fahrt stoppte etc.

  • Vater: 1965, Freiberufler
  • Töchter: 2007/2009, Fragenstellerinnen
  • Jahr der Szenen: 2017-2019

Zu früh abgeholt

Mit 16 Jahren durfte ich freitags immer mit meinen Freunden in die Disco. Es wurde vereinbart, dass mein Vater mich um 02.00 Uhr auf dem Parkplatz vor der Disco abholt. Dieses Mal kam mein Vater zu früh und deshalb in die Disco. Ich war noch fest beim Feiern und empfand seine Anwesenheit als Kontrolle, was ich ihn deutlich spüren liess. Mein Vater entgegnete mir, dass er sich nur in der Discothek, in der früher auch er gefeiert hatte, umsehen wollte. Er machte mir keine Vorwürfe wegen meines zickigen Benehmens und holte mich weiterhin zu jeder Nachtstunde ab. Heute habe ich selber Kinder und schätze diese Unterstützung noch mehr als damals.

  • Tochter: 1980, 4 Kinder
  • Vater: 1956, 3 Kinder
  • Jahr der Szene: 1996

Gesprochen hat er wenig

Auch bald 30 Jahre nach seinem Tod taucht er immer wieder in meinen Gedankenwelten auf. Offensichtlich hat mein Grossvater in mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich spaziere dann in Gedanken durch sein Landhaus, höre das Knarren des Parkettbodens unter meinen Füssen, sehe ihn auf dem Sofa sitzen, die hohe Stirn, das ernste Gesicht, vertieft in die Lektüre der Neuen Zürcher Zeitung. Bevor er aufsteht, durchs Wohnzimmer läuft, am Esstisch Platz nimmt, seine Suppe schlürft und schweigt. Im Hintergrund höre ich die Nachrichten, während ich seine Zahnlücke und seinen goldenen Zahn bestaune. Wie gerne würde ich heute an seinem Tisch sitzen und über alles reden, was damals unausgesprochen blieb.

  • Enkel: 1965, Spaziergänger
  • Grossvater: 1909, Textilunternehmer
  • Jahre der Szene: 70er/80er-Jahre

 

Retter in der Not

Mit 14 war ich mit acht Jungschar-Mädels am Meer, als wir bestohlen wurden. Weinend habe ich zu Hause angerufen. Um 3 Uhr nachts ist mein Vater losgefahren, hat bei einer Pizzeria für alle Essen bestellt und 100.000 Lire dagelassen.

  • Tochter: 1964 (Geschäftsführerin)
  • Vater: 1933 (Hotelier)
  • Jahr der Szene: 1978