Geschichtenarchiv

Ölig-metallischer Geruch

Letzthin habe ich an meiner Arbeitsstelle ein grosses Kreuzrollen-Lager ausgepackt. Beim Entfernen der Kunststoff-Folie entfaltete sich ein ganz spezieller ölig-metallischer Geruch, der augenblicklich intensive Gefühle/Erinnerungen an meinen Vater und meine Jugendzeit aufkommen liess.

Ab und zu holte ich meinen Vater abends von der Arbeit ab. Manchmal zeigte er mir noch ein spezielles Fahrzeug in der Halle oder machte mit mir eine «Tour» durchs Zeughaus, um vor dem Feierabend noch irgendwas in eine andere Abteilung zu bringen, bevor wir uns gemeinsam auf den Heimweg machten.

Jetzt katapultierte mich dieser spezielle Geruch, der dort in der Werkstatt aber auch an meinem Vater und seinen Kleidern hing, in Zehntelsekunden 45 Jahre zurück und ich fühlte wieder den Stolz auf meinen Vater.

  • Vater: Automechaniker, Werkstattleiter, 1923-2001
  • Sohn: Konstrukteur, z.Zt. Monteur, 1960
  • Jahre der Szene: ca. 1970-72

Selbstbestimmter Abschied

Ich erinnere mich noch der frühen 60er-Jahre, stolz neben dem Chauffeur eines Saurer-Lastwagens sitzend. An schulfreien Nachmittagen durfte ich meinen Vater beim Ausliefern von Mehl und Tierfutter öfters als Beifahrer begleiten. Es war etwas Besonderes für mich, ihm zuzusehen, wie leidenschaftlich und aufmerksam er sein Gefährt lenkte und pflegte. Nach 44 Jahren wurde er mit einem Dankeschön in den Ruhestand entlassen, um fortan mit leichteren Autos auf der Strasse unterwegs zu sein. Dass er im Februar 2016 nach 75 unfallfreien Jahren selber entschieden hat, den Ausweis dem Strassenverkehrsamt zurückzugeben, hat mich berührt. Es war einer der seltenen Momente, in denen ich Tränen in seinen Augen sah. Ich bin stolz auf meinen Vater!

  • Vater: 1921, Lastwagen-Chauffeur
  • Sohn: 1950, Linien-Pilot
  • Jahr der Szene: 2016

Friedhofs-Gespräche

Meine Mutter hat jeden Morgen die Todesanzeigen in der Zeitung gelesen. Manchmal machte sie eine Bemerkung wie: „Ah, heute hat der Vater aber viel zu tun!“ Vater war Bestattungsbeamter.

Ein grosses Ereignis war für uns Kinder, ihn von der Arbeit im Stadthaus Zürich abzuholen. Stundenlang konnte ich meinem Vater zuhören, wenn er über die undurchdringbare Dunkelheit im Bündner Bergdorf, wo er aufwuchs, erzählte. Eine unvorstellbare Welt für uns Stadtkinder. In den Ferien gingen wir jeweils in seine Heimat, wo er sich der Grabpflege seiner Eltern widmete. Mehr über früher erfuhren wir, wenn wir die Fotos, Geburts- und Todeszahlen auf den Grabsteinen mit ihm betrachteten.

Viel später, nach Vaters Tod, holten wir ihn an seinem ehemaligen Arbeitsort im Stadthaus ein letztes Mal ab. Dass mir von ihm kein Ort zum Trauern und für Zwiegespräche blieb, betrübt mich manchmal. Aber die Erinnerungen an die gemeinsamen Friedhofsgespräche werde ich nie vergessen.

  • Tochter: Mitarbeiterin familienservice, 1975
  • Vater: Bestattungsbeamter, 1926
  • Ort der Szene: Misox

Giuseppes Morgenritual

Grade eben habe ich meinen Vater auf den Zug gebracht. Er beginnt jetzt wieder ein bisschen das Leben zu geniessen – jetzt, drei Jahre nach dem Tod meiner Mutter, seiner Giuseppa. Er war es, der für mich eine Art Morgenritual pflegte, das unauslöschlich in meiner Erinnerung eingeprägt ist. Wenn ich aufwachte, roch es bereits köstlich nach Kaffee, den stets er zubereitete. Er fütterte unsere Katze, die in laufender Folge immer Susi hiess, und auch er war es, der zu den Kanarienvögeln schaute, bevor er aus dem Haus ging.

  • Sohn: 1980
  • Vater: 1940
  • Jahre der Szene: 1990 bis 2005

Glück im Sägemehl

Mit 75 ist er noch immer oft am Sägen, Hobeln, Zusammenfügen. Nur der Sonntag war ihm absolut heilig, da nahm er kein Werkzeug zur Hand. Neben der Hauptarbeit hatte mein Vater sich in der Garage eine Schreinerwerkstatt eingerichtet. Seit ich denken kann, tummelte ich mich als Knirps bei ihm. Ein Paradies für mich und meine drei Brüder. Auch wenn es immer wieder mal zu Blessuren kam. Nicht nur einmal musste ich beim Arzt eine Stich-, Platz- oder Schnittwunde nähen, die ich mir im Übereifer beigefügt hatte. Es war wunderschön.

  • Sohn: 1979
  • Vater: 1939, Schreiner
  • Jahre der Szene: 1982/90

Rollentausch

In den Ferien verwandelte sich mein Vater zuweilen komplett: Er wusste nichts, konnte nichts und war unsäglich tollpatschig. Beim Wandern mussten meine Schwester und ich schauen, dass er nicht vom Weg abkommt, ihm die Namen aller Tiere beibringen und uns einfach ganz allgemein darum kümmern, dass er nicht verloren geht oder den Berg hinunterstürzt. So konnten wir uns nützlich machen, für einmal waren wir die Starken, Gescheiten, Besorgten. Die Zeit auf langen Wanderungen verflog im Nu.

  • Vater: Sekundarlehrer, 1940
  • Tochter: Mitarbeiterin thkt familienservice, 1971
  • Jahr der Szene: 1980