Geschichtenarchiv

Wenn es keine Worte braucht

Pfingstferien. Mein Vater und ich fliegen für zehn Tage nach Amerika, genauer gesagt nach Manhattan, New York. Als wir auf dem Empire State Building stehen, ist das einer dieser Momente, die Menschen näherbringen. Schweigend blicken wir auf die Stadt, Worte sind überflüssig. Alles an der Stadt ist gross und vielseitig, das leckere Essen und das Kennenlernen des Grossstadtlebens beeindruckend.

  • Sohn: Schüler, 2000
  • Vater: Geschäftsführer
  • 1964 Jahr der Szene: 2014

Der Handlanger

Seit Generationen wird das Haus meiner Eltern von der Familie meines Vaters bewohnt. Mein Vater arbeitet gerne in Haus und Garten. Handwerklich gibt es immer etwas zu tun, und ich darf sein Handlanger (Hilfsarbeiter) sein. Oft muss ich dabei etwas holen, weil mein Vater erst während der Arbeit merkt, was noch fehlt. Wir arbeiten im Obergeschoss des Hauses an der Verschalung einer Wand mit Profilholz (täfern). Wie so oft sagt der Vater: „Oh, ich habe etwas vergessen, kannst du dies in der Werkstatt im Keller holen?“ Durch das immer wieder Mithelfen habe ich inzwischen so viel gelernt, dass ich bereits daran gedacht habe und das scheinbar Vergessene dabei habe… So habe ich durch meinen Vater mein Talent für handwerkliche Berufe und den Sinn einer optimalen Arbeitsvorbereitung entdeckt. Das hat mich geprägt.

  • Vater: 1934, Sekundarschullehrer und Handwerker
  • Sohn: 1965, Berufschullehrer und Handwerker
  • Jahr der Szene: 1978
  • Aufgezeichnet von Jens van Harten

Fahrt im hellblauen Deux Chevaux

Weil ich mein Schlüsselbein gebrochen hatte, durfte ich allein mit meinem Vater in unserem hellblauen Deux Cheveaux nach Hause fahren. Es war das Ende der Sommerferien. Wir fuhren von unserem Ferienhaus im Zürcher Oberland nach Heidelberg. Dort wohnten wir. Da wir fünf Kinder waren, habe ich dieses seltene Solo noch lebhaft in Erinnerung. Mein Vater war viel lustiger und entspannter als sonst. Als wir hungrig wurden, packte ich aus dem Lebensmittelsack einen grossen dänischen Käse, der aussah wie ein Blumentopf und in einer roten Wachspackung steckte. Ich schälte den Käse aus dem Wachs und mein Vater biss sofort lustvoll ein grosses Stück ab. Abwechslungsweise und mit grossem Appetit assen wir den ganzen Mocken Käse auf.

  • Tochter: 1966, Schauspielerin
  • Vater: 1934, Theologieprofessor
  • Jahr der Szene: 1978

Wendepunkt in unserer Beziehung

Erst am Flughafen Zürich hatte mir mein Vater die Überraschung verraten: Gemeinsam fuhren wir nach London ins legendäre Wembley-Stadion, um uns das WM-Vorbereitungsspiel zwischen England und Peru anzusehen. England gewann souverän mit 3:0, Daniel Sturridge, Gary Cahill und Jagielka schossen die Tore. Den absoluten Volltreffer aber landete ein Fan, als er mit seinem Papierflieger Perus Rechtsaussen am Kopf traf.

Viel entscheidender war für mich, dass dieses gemeinsame Erlebnis ein Wendepunkt in unserer Beziehung darstellte: Hatten wir uns bis zu diesem Tage oft in Meinungsverschiedenheiten verstrickt, waren wir uns während dieses Spiels einig, stimmten uns zu, sowohl in Aufstellungs-Fragen als auch in umstrittenen Schiedsrichter-Entscheiden. In diesen 90 Minuten habe ich zu meinem Vater eine neue Bindung aufgebaut. Dieses Erlebnis im schönsten Stadion der Welt mit dem besten Vater der Welt gehört zu den besten Momenten meines Lebens.

  • Sohn: 2000, F-Junioren-Trainer
  • Vater: 1968, Bankangestellter
  • Jahr der Szene: 2014

Krähen zum Mittagessen

Im Seemoosholz-Wäldchen in Arbon. Um die Mittagszeit rücke ich mit meinem Vater aus, um Krähen zu schiessen, da wir aufgrund der Arbeitslosigkeit meines Vaters nichts zum Essen haben. Als geübter Wildhüter ist er treffsicher: Nach kurzer Zeit liegen vier Krähen auf dem Waldboden. Ich sammle sie ein. Noch an Ort und Stelle werden sie gerupft, anschliessend als „blutte“ Krähen nach Hause getragen und in den Backofen geschoben, wo sie leider etwas zu lange schmoren und wieder so schwarz rauskommen, wie sie vorher ausgesehen haben. Eine lustige Erinnerung an meinen Vater.

  • Sohn: 1936, Maler
  • Vater: 1913, Maler
  • Jahr der Szene: 1943

Weisses Gold

„Kommst du mit mir strahlen?“, frage ich meinen Vater. „Ja“, sagt er zu meiner grossen Überraschung. Zu zweit fahren wir ins Binntal, klopfen weisses Gestein ab, zeigen uns gegenseitig unsere Fundstücke. Auch mein Vater nimmt den Pickel in die Hand, obwohl er sich nicht in erster Linie für die Steine sondern für mich interessiert. Ich geniesse die gemeinsame Ruhe: ich alleine mit meinem Vater, nur er und ich.

  • Sohn: 1972, Lehrer
  • Vater: 1946, Securitas
  • Jahr der Szene: 1985