Geschichtenarchiv

Socken-Lockerer

Frisch gewaschene Socken haben die schlechte Angewohnheit, sich während dem Trocknen am Wäscheständer zu versteifen – ganz zum Missfallen meiner jüngeren Tochter (8). Was dazu führte, dass mich M. jeden Morgen darum bittet, mit meinen etwas grösseren Händen durch ihre Socken zu fahren und sie dadurch aufzuweichen. So kam es, dass ich zu ihrem ganz persönlichen Socken-Lockerer wurde. Was mir eine ganz besondere Ehre ist.

  • Vater: 1965, Geschichtenfänger
  • Tochter: 2009, Wirbelwind
  • Jahr der Szene: 2017

Indianerbrot

Es ist dunkel und still in unserem Haus. Alle schlafen. Mein Vater kommt zu mir ins Zimmer und weckt mich. Eine verschworene Stimmung. Unser Morgenritual beginnt: Mein Vater nimmt die Handmühle in die Hand. Er dreht an der Kurbel und malt das Korn. Manchmal darf auch ich. Das Mehl mischen wir mit Wasser und formen daraus eine Kugel. In der Bratpfanne drücken wir den Teig flach. Da ist es, das Indianerbrot. Mit Butter und Honig. Unser Frühstück.

  • Sohn: 1977, Pfarrer
  • Vater: 1948, Musiker und Gymnasiallehrer
  • Jahr der Szene: 1990-1993
  • Aufgezeichnet von Philippe Häni

Liebeserklärung auf Facebook

„Fatih, babacik seni cok seviyor.“ („Fatih, Papalein liebt dich sehr“) Völlig unerwartet lese ich auf Facebook den Post meines Vaters, der mich extrem berührt. Das Medium hingegen, das er für diese Nachricht gewählt hat, irritiert mich komplett, solche öffentliche Bekundungen sind mir peinlich. Mitten in der Nacht kann er seinem 40-jährigen Sohn schreiben: „Junge, geh schlafen.“ Es ist mir unangenehm, wenn er mir auf Facebook nachjagt. Mittlerweile ist mein Vater Facebook-süchtig. Und ich weiss nicht, was ich machen soll.

  • Sohn: 1978, Kulturvermittler
  • Vater: 1950, Pensionist, ehemaliger Hilfsarbeiter in der Textilindustrie
  • Jahr der Szene: 2017

Das lange Echo des Alpstein-Jubels

In den Sommerferien nimmt mich mein Papi auf eine Klettertour mit. Nur zu zweit bezwingen wir den fünften Kreuzberg. In der Bergwelt blüht mein Vater auf. Er lässt seinen ureigenen Bergruf, ein kurzer Jubel-Jodel, von den Felswänden widerhallen. Und ich darf ihn von einer ganz anderen Seite erleben als im Alltag der Grossfamilie. Mein Vater erzählt Geschichten aus seiner Jugend und ich erfahre von seiner ersten Liebe auf der Meglisalp. Das Spüren seiner Sehnsüchte und das Erleben der Freiheitsgefühle, welche die Bergwelt in ihm freisetzen, stecken mich an und lassen mich spüren, dass ich aus dem gleichen Holz geschnitzt bin wie er. Das Echo seines Jubel-Jodels klingt bis heute in mir nach.

  • Sohn: 1971, Geschichten- und Melodienerfinder
  • Vater: 1935, Erforscher von politischen Ideen
  • Jahr der Szene: 1988

Kribbeln im Bauch

Jeden Moment ist es so weit. Meine Nervosität steigt, ich habe ein Kribbeln im Bauch. Das Auto meines Vaters biegt um die Ecke. Die Zeit des Wartens ist vorbei. Unsere Zufahrtsstraße habe ich zusammen mit meinen Brüdern mit Kreide verziert: „Herzlich willkommen!“ Wir rennen neben dem fahrenden Auto her.

Die Wiedersehensfreude ist groß. Mein Vater lacht, ist braungebrannt und seine Reisetaschen riechen verführerisch nach exotischen und reifen Früchten aus Nairobi. Ich kann es kaum erwarten, dass er mir aus einer Mango einen Igel schnitzt. Ich bin glücklich und fühle mich sicher und geborgen.

  • Vater: 1948, Swissair-Linienpilot
  • Sohn: 1977, Linienpilot und Hausmann
  • Jahr der Szene: ca. 1985

Schmeichelhafte Einladung

Mein Vater spielt Volleyball, seit ich denken kann. Was dazu führt, dass ich ihm bereits in jungen Jahren nacheifere und in die Jungs-Mannschaft der Schule eingeschleust werde, obwohl ich viel jünger bin. Im Alter von 17 Jahren erhalte ich die schmeichelhafte Einladung, anlässlich des 50. Geburtstags eines Kollegen meines Vaters bei einem Beachvolleyball-Turnier mitzuspielen. Am Ende des „never-ending-game’s“ von 9 bis 18 Uhr bin ich braungebrannt und überglücklich, diese Leidenschaft mit meinem Vater teilen zu dürfen.

  • Tochter: 1981, Lehrerin
  • Vater: 1953, Lehrer
  • Jahr der Szene: 1998