Geschichtenarchiv

Sieben Jahre in Südafrika

Als zweites grosses und über zwei Jahre angespartes Reiseziel wollte ich den Spuren meines Vaters folgen, der sieben Jahre in Eshowe (Südafrika) lebte, einer kleinen Stadt in der Region von KwaZulu-Natal. Obwohl ich nie viel Bezug zu seiner Zeit dort hatte, wollte ich unbedingt an diesen Ort reisen. Es war ein sonderbares Gefühl, Fotos von Orten und Plätzen zu schiessen, die mein Vater seit über 40 Jahren nicht mehr gesehen hat. Unvergesslich bleibt das Treffen mit einer Person, die ihn noch von der damaligen Zeit kannte.

  • Jahr der Szene: 1999
  • Sohn: 1978, Lehrer
  • Vater: 1935, Theologe

Es ist wie Mathematik

Sonntags. Ohne Arbeitskleidung. Entspannen, ruhen, da-sein, Gemeinsamkeit… Feines Sonntagsessen am gedeckten Tisch in der Küche. Mittagsschlaf. Und Vorfreude.

Vater macht seinen Mittagsschlaf auf der Couch. Wir Kinder spielen. Wartend auf den Moment, bis er wieder aufwacht. Geht es uns zulange, sorgen wir dafür, dass er wach wird. Wir steigen auf ihn rauf, rammeln, bis er aufgibt, zum Buffet geht und endlich das Spiel herausnimmt. Zu viert setzen wir uns an den Tisch. Vater und einer von uns auf der Sitzbank. Die zwei anderen auf den Stühlen. Mutter macht nicht mit. Sie kann es nicht, und das ist auch gut so. Vater gehört in diesem Moment ganz uns.

Konzentration. Karten austeilen und spielen. Schieber. Meistens ich zusammen mit dem Vater gegen die Geschwister. Ich geniesse die Nähe und Wärme an diesen Sonntagen. Die Härte der Arbeitswoche ist fern. Ich lerne viel von ihm. Es ist wie Mathematik. Viel gesprochen wird nicht. Wenn, dann nur übers Spiel. Noch heute geniessen wir einen Jass zusammen. Konzentriert und ohne viele Worte.

  • Vater: 1933, Landwirt
  • Sohn: 1963, Sekundarlehrer- Spielpädagoge
  • Jahr der Szenen: 1973–1987 und immer wieder

 

Sieben an der Zahl

Täglich nach dem Frühstück zieht sich mein Vater in sein Studierzimmer zurück, um sich der Pflege seiner Tabakpfeifen zu widmen. Eine nach der anderen – sieben an der Zahl – nimmt er aus dem Pfeifenständer, wo sie seit dem Vorabend auskühlen. Heute wird er beim täglichen Ritual von zwei Enkelinnen beobachtet, die ihm aufmerksam über die Schultern schauen. Als erstes werden mit dem Pfeifenbesteck Aschenreste ausgeräumt, dann die Pfeifen auseinander geschraubt, die teerig-feuchten Filter entfernt, Pfeifenholm und Mundstück feinsäuberlich auf dem Schreibtisch aufgereiht, bevor die Rauchkanäle mit einem Pfeifenputzer aus saugfähigen Baumwollfasern gereinigt werden. Beim Ausbohren eines verengten Rauchkanals klemmt es plötzlich, so dass Pipa zur Freude der Enkelinnen eine Zange holen muss, um Holm und Bohrer wieder voneinander zu trennen.

  • Sohn: 1965, Nichtraucher
  • Vater: 1935, passionierter Pfeifenraucher
  • Enkelinnen: 2007/ 2009, Zaungäste
  • Jahr der Szene: 2018

Vaters Geldbörse

Hinten in seiner Hosentasche steckte diese extrem dünne Geldbörse, die mich schon als Kind ärgerte. Ich war sicher, dass er sich jede Diskussion ersparen wollte, indem er kein Geld in seiner Brieftasche herumtrug. Immer wenn ich einen Wunsch äußerte, der mit Kosten verbunden war, zog er sie zögerlich aus der Hosentasche und zeigte mir bedauernd den einsamen 20-Schilling-Schein darin. Ich lernte, nicht mehr zu fragen. Ich lernte zu sparen, ein Experiment, das nicht das gewünschte Ergebnis brachte. Bis ich mir den einen Wunsch erspart hatte, hatten sich schon drei, vier neue Wünsche angesammelt – ein ewiges Zu-spät-Kommen. Die Brieftasche habe ich nach dem Tod meines Vaters an mich genommen, um sie für einige Jahre gefüllt mit Scheinen herumliegen zu lassen. Aus therapeutischen Gründen.

  • Tochter: 1967, Schriftstellerin und Projektmanagerin
  • Vater: 1933, Filialleiter eines internationalen Konzerns in der Zahnprothesenherstellung
  • Jahr der Szene: 1970 bis 1980

Schweiss und Schminke

„Majestät, die Jagd ist bereit“, lautet es aus dem Badezimmer, wenn mein Vater aus der Dusche steigt und vor dem Spiegel die Resten seiner verbliebenen Haare büschelt. Und in Bühnen-Lautstärke immer wieder den einen und einzigen Satz probt, den er in der Operette „Im Weissen Rössl“ als Statist sprechen darf. Mir kommt dies alles leicht übertrieben vor. Und trotzdem bin ich meinem Vater bis heute für die Penetranz dieses einen Satzes dankbar. Als ich ihn nämlich eines Tages hinter die Bühne begleiten, in den Gängen Schweiss und Schminke einatmen und in den Bühnenhimmel voller Kulissen gucken darf, weiss ich: „Das will ich auch.“ Ein Traum ist geboren.

  • Tochter: 1969, Schauspielerin und Hoteldirektorin
  • Vater: 1930, ehemaliger Kaufmann
  • Jahr der Szene: 1979

Weihnachts-Beleuchtung

Mein Vater arbeitete als Verkäufer für die damals traditionsreiche Arboner Lastwagenfirma. Er war viel mit dem Auto unterwegs zu seinen Kunden, vom Rheinfall bis ins Unterengadin. So kam es oft vor, dass mein Vater spät nach Hause kam und wieder sehr früh zur Arbeit musste. Meine sechs Geschwister und ich sahen deshalb unseren Vater unter der Woche nur selten. Wenn er es in der Adventszeit schaffte, etwas früher nach Hause zu kommen, belagerte ich ihn, bis er – gegen den Willen meiner Mutter – zusammen mit mir in die Stadt fuhr, um die Weihnachts-Beleuchtung zu bestaunen. Wir schlenderten durch die Gassen und erzählten einander von den Ereignissen des Tages.

Vater: 1924, Lastwagenverkäufer
Sohn: 1965, Dozent
Jahr der Szene: 1973