Versöhnung ohne Worte

Sommer 1986. In den Semesterferien machte ich zuhause meinen Eltern gegenüber einen derben Spass, der sie erschreckte. Mein Vater reagierte reflexartig und gab mir eine schallende Ohrfeige. Geschlagen hat er uns sechs Kinder einige Male, das gehörte dazu. Aber dies war einer zu viel. Fluchtartig verliess ich dieses Daheim mit einem Auto eines älteren Herren, der mir dieses anvertraut hatte. Zuerst tauchte ich bei der Grossmutter meiner Freundin unter, danach bei einem Studienkolleg auf dem Bauernhof. Irgendwann tauchte ich Ende Ferien wieder bei meiner Familie auf, aber nur um die Sachen zu packen und mein Studium fortzusetzen.

Eines Tages lud mich mein Vater ein zu einer Klettertour auf seinen Lieblingsberg. Wir haben an jenem Tag nicht viel gesprochen. Ich habe ihm voll vertraut, obschon er schon lange nicht mehr klettern ging. Ich habe verstanden, was er mir mit diesem Tag sagen und schenken wollte: Versöhnung ohne Worte. Als er dann 2016 im Sterben lag, war ich als Letzter bei ihm, ‘amazing grace’ habe ich gesummt, «alles ist Gnade, alles ist Geschenk». Mein Vater hat leicht reagiert, ist ganz ruhig geworden und eine Viertelstunde, nachdem ich gegangen bin, friedlich gestorben.

  • Sohn: 1962, Theologe
  • Vater: 1936 – 2016, Dreher
  • Jahr der Szene: 1986