Vergessene Erinnerung

Als 27-jähriger Student lebe ich bei meinen Eltern, als mein fast 80-jähriger Vater krank wird und ins Spital muss. Innerhalb einer Woche stirbt er. Über die vielen Jahre schmerzt es mich, dass ich am Sterben meines Vaters nicht mehr Anteil genommen habe. Vater hatte nie viel Zeit für uns acht Kinder gehabt. Bin ich deshalb derart entfernt von ihm geblieben? Jetzt, über 40 Jahre nach Vaters Tod suche ich nach Wissen aus seiner Sterbenszeit. Dabei entdecke ich einen Zettel, auf dem ich meinem Vater Worte des Danks für seine Zuwendung und der Trauer wegen seiner Krankheit ins Spital geschickt habe. Ich lese nach langem wieder das Tagebuch, in das Vater für jedes der Kinder Episoden aus seinem Leben aufgeschrieben hat. Da war gegenseitige Anteilnahme und Nähe, verdeckt durch falsche Erinnerung.

  • Sohn: 1944, Professor der Theologie
  • Vater: 1894, Prediger
  • Jahr der Szene: 1972