Geschichtenarchiv

Ein Wunsch geht in Erfüllung

Nach langem Betteln kam mein Vater an einem Samstagnachmittag mit mir zum Reiten. Gemeinsam mit meinem Reitlehrer und einigen Reitschülern ritten wir aus. Mein Vater ritt ganz vorne neben meinem Reitlehrer. Ich war weiter hinten in der Reihe und so konnte ich ihn gut beobachten. Er machte es sehr gut. Ich war aber nicht wirklich überrascht, da ich wusste, dass er ein guter Reiter ist. Ich freute mich einfach riesig, dass mein Vater endlich mal mit mir reiten war und wir wieder einmal etwas gemeinsam unternommen hatten.

  • Tochter: 1988
  • Vater: 1947
  • Jahr der Szene: 2004

Vaters Moped im Gemüsebeet

Als ich etwa 12 Jahre alt war, hatten wir noch das alte Moped meines Vaters zu Hause. Ich durfte es aber noch nicht fahren, da ich noch nicht alt genug war. In einem unbeobachteten Moment schnappte ich mir das Moped und wollte einige Runden auf unserem Rasen drehen. Anfangs ging es ganz gut, doch irgendwie blieb das Gas hängen, und ich fuhr einfach geradeaus weiter, direkt über die Gemüsebeete unserer Nachbarn. Als ich dann vom Moped runter fiel, rannte ich einfach weg und liess es mit laufendem Motor im Gemüsebeet liegen. Mein Vater bekam meine Dummheit natürlich mit und musste das Moped aus dem Nachbarsgarten holen und wieder nach Hause bringen. Er war ziemlich wütend, dass ich sein altes Moped so unachtsam behandelt hatte.

  • Tochter (1991)
  • Vater (1961)
  • Jahr der Szene: 2003

Kurzurlaub

Mein Vater legte die Arme um den Hals seines jüngsten Bruders. Onkel R. beugte sich vor und stieg – meinen Vater auf dem Rücken – die Treppe hoch zu unserer Wohnung. Es war Weihnachten. Mein Vater kehrte aus dem Pflegeheim, wo er mit Abstand der Jüngste war, zu uns nach Hause zurück. Für vier Tage.

  • Sohn: 1956, Jurist
  • Vater: 1937, Sanitärinstallateur
  • Jahr der Szene: 1971

Alpamare

Als ich im menschenvollen Schwimmbecken wieder aus dem Wasser auftauche, sehe ich meinen Vater, der vor mir wie ein Blitz die Rutschbahn runtergeflitzt kommt, voller Stolz und mit einem breiten Grinsen im Gesicht aus dem Wasser steigen, wohl nicht merkend, dass er quer über die linke Gesässbacke ein riesiges Loch in der Badehose hat.

  • Erzählerin: Tochter (1990, Studentin)
  • Vater (1961, Sachbearbeiter)
  • Jahr der Szene: 2000

Mein Vater, ein Filou

Mein Vater war ein Filou, der gerne feierte und Streiche spielte, was für meine Mutter nicht immer ganz einfach war. So liess er sich eines Tages im Kegelclub auf die Wette ein, eine Kutsche vor Ablauf einer Stunde eine Bergrennstrecke von 3.7 Kilometern hochzuziehen, und dies aus reiner Manneskraft.

Der Tag X kam, eine Art Volksfest. Mein Vater stand an der Startlinie, das Pferdegeschirr umgeschnallt, die Deichsel in der Hand, von einer Menschentraube angefeuert. Das Ende des Lieds: Mein Vater schaffte es tatsächlich in 58 Minuten, ein grosser Siegerkranz wurde ihm umgelegt. Und ich war voller Stolz, trotz der Wut meiner Mutter im Nacken.

Der gewonnene Wetteinsatz – 250 Liter Bier – wurde ein Jahr später im Rahmen eines Dorffestes vertrunken.

  • Sohn: 1963, Sozialarbeiter.
  • Vater: 1930, Textilkaufmann.
  • Jahr der Szene: 1971.

Das Vögelchen und der Stein

Ich höre meinem Vater zu, wie er von der Ewigkeit spricht. Da ich nicht weiss, was die Ewigkeit ist, frage ich nach. Er erzählt mir die Geschichte eines Vögelchens, welches einmal jährlich zu einem Stein fliegt, um an ihm seinen Schnabel zu wetzen. „Wenn der Stein vollständig abgewetzt ist, ist eine Sekunde der Ewigkeit vergangen“, sagt er mir. Mich beeindruckt bis heute, dass er mir diesen komplexen Begriff so kindgerecht erklären konnte.

  • Tochter (7 jährig)
  • Jahr der  Szene: 1997