Geschichtenarchiv

Matratzen-Menu

Nach der Trennung meiner Eltern verbrachten ich und meine kleinere Schwester jedes zweite Wochenende bei meinem Vater. Auf den Freitagabend freuten wir uns immer ganz besonders. Kaum hatten wir die Wohnung betreten, schafften wir unsere Matratzen auf den Parkettboden des grossflächigen Wohnzimmers und genossen zwischen Cheminée und Fernseher unser Matratzen-Menu: Pommes, Plätzli und Bratensauce, gefolgt von Vanille- oder Schoggicrème. Anschliessend durften wir uns auf RTL einen Kinderfilm ansehen. Ein Abend voller Ausnahmen.

  • Tochter: 1994, Kleinkinder-Erzieherin
  • Vater: 1965, Elektriker
  • Jahre der Szene: 2004/05

Anatomie-Unterricht in Garage

Mein Vater arbeitete als Metzger in einer Wurstfabrik. Hie und da nahm er ein halbes Schwein mit nach Hause, legte ein Metzgerbrett auf die Werkbank und zerschnitt es in der Garage fachgerecht. Meine Aufgabe war das Verpacken und Beschriften der Fleischpakete. Die Nachbarn klopften jeweils konspirativ an die Garagentüre und holten ihr günstiges Fleisch ab – der Hausbesitzer durfte nichts erfahren. Die geheimnisvolle Atmosphäre, im Hintergrund Hudigäggeler Musik vom alten Kassettengerät, Vaters Geschichten: Das waren ganz besondere Tage mit meinem Vater.

  • Tochter: 1965, Psychologin
  • Vater:1941, pensionierter Metzger
  • Jahr der Szene: 1977

Zwei Mundstücke auf dem Klavier

Glanz und erst dann Gloria und einen speziellen Geruch noch heute in der Nase. Das Resultat des ganzen Getues nach einer schwarzen Schmiererei: Der herrliche Glanz mit Blick auf mein vergrössertes Spiegelbild. Der Zauber? Das wunderbar glänzende Instrument: Die Tuba meines Vaters. Das Wundermittel? Freude am Tun, flinke jugendliche Hände, Sigolin und vor allem die dankbar leuchtenden Augen meines Dätti. Zwei Mundstücke stehen in Erinnerung an meinen Vater auf meinem Klavier. Diese klingen nach in geliebter Marschmusik.

  • Tochter: 1944, Kommunikationsfrau
  • Vater: 1906, Unternehmer
  • Jahr der Szene: 1958

Bart-Kraulen

Als Kind gingen wir oft im Alpstein wandern. Immer wieder einmal durfte ich auf den Schultern meines Vaters sitzen, wenn es den Berg hoch ging. Während dem Laufen bückte ich mich nach vorne und kraulte im Bart meines Vaters. Heute trage ich ab und an meine Tochter auf den Schultern und geniesse es, wenn sie von sich aus in meinem kleinen Bart krault und ich mich an meinen Vater erinnere, der im Jahr 2001 gestorben ist.

  • Vater: 1949
  • Sohn: 1976, Elektromonteur/Sozialpädagoge
  • Tochter von Sohn: 2012, Kind
  • Jahre der Szene: ca. 1982 und 2015

Schneeloch-Hüpfen

Ein Sonntagmorgen im Winter. Nach dem Frühstück brechen wir sofort auf zu einem Spaziergang durch frischen Tiefschnee. Querfeldein laufen wir über ein grosses, noch unberührtes Schneefeld, mein Vater voraus, wir hinterher. Schritt für Schritt stapfen wir in seinen Schuhabdrücken, bis seine Schritte immer grösser werden, wir gezwungen sind, von Schneeloch zu Schneeloch zu hüpfen. Irgendwann verlässt mein Vater die gradlinige Spur, mäandert durch den Schnee, zieht überraschende Kreise. Ein riesen Gaudi, von dem wir uns heute noch erzählen.

  • Tochter: 1995, Sachbearbeiterin
  • Vater: 1955, Stromer
  • Jahr der Szene: 2001

Sprungbrett-Schultern

Im Vorschulalter gingen wir sonntags regelmässig mit unserem Vater ins Hallenbad. Als ehemaliger Wasserballer, der es als Goalie bis in die Schweizer Nati schaffte, fühlte er sich pudelwohl, im nassen Element blühte er richtig auf. Wir liebten es, mit ihm rumzutollen, uns von ihm fangen und ins Wasser werfen zu lassen oder seine breiten Schultern als Sprungbrett zu nutzen.

  • Tochter: 1974, Kinderärztin
  • Vater: 1941, Versicherungsagent
  • Jahre der Szene: Anfangs/Mitte 80er-Jahre