Geschichtenarchiv

Vom Sandkasten zum Weiher

Nach den Ferien in Österreich machen sich mein Vater und ich an die Arbeit. Wir bauen auf dem Gelände des Sandkastens einen Weiher mit Bächlein. Unser Bauplan ist die Erinnerung an den Weiher in Österreich. Meine Mutter ist skeptisch und traut uns das Projekt ohne ordentliche Planung nicht zu. Egal, wir machen es trotzdem. Nach zwei Monaten graben, Material suchen, einkaufen ist es geschafft, unsere Oase ist fertig: ein Weiher mit Bächlein. Ich bin sehr stolz auf unser Bauwerk.

  • Sohn: 1977, Sozialarbeiter
  • Vater:  1946, Maschinenschlosser
  • Jahr der Szene: 1990
  • Aufgezeichnet von Michael Hofmann

Kaffee-Pause in der Veranda

Kurz nach 10 Uhr sitzen Professoren, Assistenten und Sekretärinnen in der Veranda zusammen, vertieft in politische, philosophische und ethische Fragen. Zweimal täglich stecken sie die Köpfe zusammen, tauschen sich über Themen aus, die sie beschäftigen. Am Kopf des Tisches sitzt mein Vater, als Instituts-Leiter der Gastgeber der Runde. Und ich bin mitten drin, auf der Eckbank geniesse ich die intensive Atmosphäre, die nach Tabak und den grossen Fragen dieser Welt riecht. Nie mehr habe ich eine solch ansteckende, inspirierende Pausenkultur erlebt.

  • Sohn: 1965, Zeitverzögerer
  • Vater: 1935, Ethiker
  • Jahr der Szene: anfangs 80er-Jahre

Bis auf die Felgen

Gerne erinnere ich mich an unsere Familienferien in den Tiroler Bergen. Unsere Ferienwohnung lag an einer frisch geteerten, steilen Strasse mit leichter Rechtskurve. Mit dem Ferienbatzen meiner Grosseltern kaufte ich mir ein A4-Blatt grosses, schnittiges Formel-1-Auto. Abend für Abend ging mein Vater mit mir raus auf die Strasse. Einer liess das Formel-1-Auto runterrasen, während der andere es unten abzufangen versuchte. Am Ende der Ferienzeit waren die Reifen abgefahren.

  • Sohn: 1979, Sozialarbeiter/Musiker
  • Vater: 1949, Bankfilial-Leiter
  • Jahr der Szene: 1986
  • Aufgezeichnet von Martin Graf

Spuren im Schnee

Ich bin unterwegs mit Vater auf der Skitour. Wir sind im Aufstieg. Vater zieht die Spuren. Auch ich kann meine eigene Spur ziehen, wenn ich will, aber wir sind gemeinsam unterwegs. Der Schnee, die Spur, die Natur: das verbindet. Hier ist ein Raum, der manches möglich macht, was ich im Alltag vermisse: Ich werde geführt – einfach so. Ich werde ernst genommen – einfach so. Wir sind zusammen – einfach so.

  • Sohn: 1982, Gärtner
  • Vater: 1951, Elektroingenieur
  • Jahr der Szene: 1997
  • Aufgezeichnet von Andreas Borter

Vertrautes Signal

Während meiner Schulzeit gingen meine drei Geschwister und ich in der Mittagspause nach Hause. Das Mittagessen stand schon auf dem Tisch, zusammen mit der Mutter assen wir. Nach dem Essen verzogen wir uns in unsere Zimmer.

Mein Vater, Arzt mit eigener Praxis, kam immer mit dem Auto auch noch kurz nach Hause, meist jedoch erst, wenn wir schon fertig gegessen hatten. Unten an der Strasse, immer an der genau gleichen Stelle in einer Linkskurve, hupte er jedes Mal, um sein Kommen anzukünden. Ich sass in meinem Zimmer und wartete auf das vertraute Signal.

Das Hupen höre ich heute noch, wenn ich an dieser Stelle vorbei gehe.

  • Sohn: 1951, Theologe
  • Vater: 1917, Arzt
  • Jahr der Szene: 1965
  • Aufgezeichnet von Nicolas Zogg

Schiffbauer im Sand

Sommerferien an der Nordsee. Bis 300 Meter laufen wir hinaus, wenn Ebbe ist. Mit der Schaufel zeichnet mein Vater die Umrisse eines Schiffs in den Sand. Gemeinsam helfen ich und meine drei Geschwister mit, ein Schiff aus Sand entstehen zu lassen. Wenn die Flut kommt, stehen wir zu fünft am Bug und trotzen dem Wasser.  – Diesen Nervenkitzel habe ich übernommen, als ich selber Kinder hatte. Meine Frau hatte nur ansatzweise mitgemacht, sich ebenso zurückgehalten wie damals meine Mutter. Es war immer klar: Das ist Vatersache.

  • Sohn: 1967, Lehrer
  • Vater: 1933, Buchhalter
  • Jahre der Szene: 1975-1985 / 2000-2010
  • Aufgezeichnet von Mark Riklin