Geschichtenarchiv

Schach, das Spiel welches ich immer gewann

Ich habe viele schöne Erinnerungen an gemeinsame Momente mit meinem Vater. Die wertvollste davon ist unser Schachspiel.

Als wir in Kabul lebten, war ich noch ein Kind. Mein Vater kam oft müde von der Arbeit nach Hause, doch ein- bis zweimal pro Woche nahm er sich die Zeit, mit mir Schach zu spielen. Für mich war das ein großes Ereignis: Jedes Mal gewann ich – und zur Belohnung bekam ich ein Stück Schokolade. Ich war stolz, fühlte mich stark und wichtig.

Heute weiß ich, dass mein Vater, ein ausgezeichneter Schachspieler, mich absichtlich gewinnen ließ. Nicht, weil es ihm an Können gefehlt hätte, sondern weil er mein Herz gewinnen wollte. Und das ist ihm gelungen.

Ich bin überzeugt, dass viele Väter auf der Welt in solchen Momenten ähnlich handeln – es geht ihnen darum nicht das Spiel, sondern die Beziehung zu ihrem Kind zu gewinnen.

Das Schachspielen ist mir geblieben. Noch heute spiele ich leidenschaftlich gern mit Freunden, und jedes Mal, wenn ich die Figuren bewege, fühle ich mich meinem Vater nah – ganz gleich, wie weit er entfernt ist.

Ich liebe Schach dafür.

  • Vater; 1938, Kaufmann
  • Sohn; 2007, Schüler
  • Jahr der Geschichte; 2014

Ein Krawattenknopf für den Papst

Ich stamme aus einer alten Obertoggenburger Familie mit 500-jähriger Geschichte. Die Männer hatten den Ruf, „sturi Chöge“ zu sein und mit der Äusserung ihrer Gefühle sparsam umzugehen. Auch mein Vater war so. Richtig emotional erlebte ich ihn das erste Mal in seinem fünfzigsten Lebensjahr, als es um meine Aufnahme in die Schweizer Garde ging. Vor der Vereidigung dürfen die zukünftigen Gardisten dem Papst ihre Eltern vorstellen. Mein Vater versuchte seine Nervosität gegen aussen zu verbergen und vergass vor lauter Aufregung, dass er gar keinen Krawattenknopf binden konnte. „Ou, Mischt, ich cha das jo gar nöd. Machschs du für mich?“.  Eine Aufgabe, die ich für meinen stolzen, berührten, nervösen und damit eben doch emotionalen Vater noch so gerne übernahm.

  • Vater: Jahrgang 1968, LKW-Chauffeur
  • Sohn: Jahrgang 1995, Mitarbeiter technischer Dienst
  • Jahr der Geschichte: 2017
  • Aufzeichnung: Marcel Kräutli

Eine Sportart, die verbindet

Mein Vater ist ein richtiger Velofan. Seine Leidenschaft für diese Sportart hat er an all seine vier Kinder weitergegeben. Mir lernte er das Velofahren, als ich etwa vier Jahre alt war. Jedes Jahr haben wir als Familie eine Etappe der Tour-de-Suisse miterlebt, viele gemeinsame Stunden in den Sätteln und bei den Klassikern als Zuschauende vor dem Fernseher verbracht. Noch heute fahre ich regelmässig Rennrad und Mountainbike. Für die Fitness, für das Naturerlebnis. Und auch immer mal wieder auf einer gemeinsamen „Fyrobig-Runde“ als Pflege der Beziehung zu meinem Vater.

  • Vater: 1973, Landwirt
  • Tochter: 2004, Köchin EFZ
  • Jahr der Geschichte: seit 2008
  • Aufgezeichnet von Marcel Kräutli

Seelengut

Kurz nach seinem Studium erkrankte mein Vater an Morbus Bang, weil er verunreinigte Rohmilch trank. Aufgrund dieser Erkrankung konnte er keiner geregelten Arbeit nachgehen. Was den grossen Vorteil hatte, dass er viel für mich und meine Schwestern da war. Ich hätte mir keinen besseren Vater wünschen können. Er war seelengut mit uns Kindern, hat sich viel mit mir abgegeben. Ging raus mit mir in die Natur, erklärte mir die verschiedenen Pflanzen und Bäume. Ich habe diese Zeiten zu zweit sehr genossen.

  • Vater: 1900
  • Tochter: 1928, Textilverarbeiterin
  • Aufgezeichnet von Marcel Kräutli

Eine unverhoffte Kraft

Schweren Herzens schreite ich bei der Trauerfeier zum Rednerpult, um aus dem Leben meiner verstorbenen Mutter zu erzählen, meiner stummen Lehrmeisterin. Als ich bemerke, dass mir jemand intuitiv folgt, in zwei Metern Abstand. Ein kleines Mädchen, gerade mal 4 Jahre alt. Sich selbstverständlich zu mir gesellt, nach meiner rechten Hand tastet, und diese nicht mehr loslässt. Stoisch steht meine Tochter neben mir, steht zu mir, ist einfach da. Was für eine unverhoffte Kraft. Die Kraft eines kleinen Mädchens, die Kraft der nächsten Generation, das Leben geht weiter.

  • Vater: 1965, Trauerredner
  • Tochter: 2009
  • Jahr der Szene: 2013

Familien-Kapelle

Mein Vater war ein gmögiger, gwärchiger Landwirt, ein liebevoller und verfügbarer Vater. Und auch ein richtiger Heimweh-Simmentaler. Er war sehr musikalisch, schon früh hatten wir zusammen Musik gemacht. Er spielte Klarinette, mein Bruder Saxophon und ich Akkordeon. Mit unserer Familien-Kapelle traten wir in verschiedenen Restaurants der Umgebung auf und spielten volkstümliche Tanzmusik. Die Momente des gemeinsamen Probens und Auftretens haben uns zusammengeschweisst und sind bis heute ein verbindendes Element in unserer Familie.

  • Vater: um 1905, Landwirt
  • Tochter: 1936, Landwirtin
  • Aufgezeichnet von Marcel Kräutli