Der Pilot vom „Nüüt“

Wir hatten einen Hund. Manchmal durfte ich abends meinen Vater auf dem letzten Spaziergang begleiten. Wenn die Sterne schienen, haben wir sie uns angesehen. Mein Vater hatte keine Ahnung von Astronomie. Wir haben uns irgendeinen ausgesucht; das war dann „unser Stern“. Wenn mein Vater mich ins Bett gebracht hat, war mein Bett ein Raumschiff. „Ds Nüüt“ haben wir es genannt. Wir haben uns, dicht aneinander gekuschelt, die Decke über die Köpfe gezogen, mein Vater hat mich angegurtet und beim Start hat er mich durchgeschüttelt. Dann ging’s los ins Weltall, vorbei an Sternen, Ausserirdischen, Supernovas. Jedes Mal ein neues Abenteuer. Mein Vater war ein wunderbarer Geschichtenerzähler. Tagsüber war er manchmal aufbrausend, ungerecht, launisch – aber als Pilot vom „Nüüt“ war er der Grösste! Er ist früh gestorben. Vor seinem Tod habe ich in der Bibliothek nachgesehen, wie unser Stern heisst. Mein Vater wollte es wissen; er sagte, er gehe nach dem Tod dorthin und sei dann von dort aus immer für mich da. Als ich endlich herausgefunden hatte, wie der Stern heisst, war mein Vater schon nicht mehr ansprechbar. In der Nacht darauf ist er gestorben. Aber ich hab’s ihm trotzdem gesagt; er hat es sicher gehört. Ausserdem findet ein Top-Pilot wie er auch so ans Ziel. Auch nach 20 Jahren blicke ich manchmal zum Sternenhimmel und denke an meinen Papi. Heute fliegt mein Mann manchmal abends mit den Kindern zum Mond. Das habe nicht ich ihm so aufgetragen; das hat sich so ergeben. Aber vielleicht hat es schon etwas mit meinen Kindheitserinnerungen zu tun, sicher bin ich nicht. Ich mache das mit den Kindern nie – das ist eine Papi-Sache.

  • Tochter: 1967, Märchenerzählerin
  • Vater: 1933, Bijoutier
  • Jahr der Szene: ca. 1975